15. August 1961. Berlin-Mitte. Ruppiner Straße, Ecke Bernauer Straße. Zwei Tage nach Errichtung der Berliner Mauer entschließt sich Conrad S., Oberwachtmeister der kasernierten Volkspolizei, zur Flucht in den Westen. Nachdem er durch ein Zeichen den an der Bernauer Straße anwesenden Fotografen seine Absicht kundgetan hat, beginnen diese die in einiger Entfernung stehende Doppelstreife abzulenken. Conrad S. läuft los. Sein Gewehr wirft er weg, um besser über die Stacheldrahtrollen springen zu können. Seine Flucht wird von dem vor Ort befindlichen Fotografen Peter L. festgehalten. Der berichtet später: „Ich hatte ihn schon mehr als eine Stunde im Visier. Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, der springt. Das war wie ein Reflex. Ich habe das beim Derby gelernt: Da muss man die Pferde im Sprung fotografieren. Und dann kam er. Ich drückte auf den Auslöser und schon war alles vorbei.“ Als Sinnbild für den Kalten Krieg geht das Foto des flüchtenden Soldaten um die Welt. Conrad S. kann seine Flucht nie vollständig verarbeiten. 1998 nimmt er sich das Leben.
August und September 1961. Berlin-Mitte. Bernauer Straße. In den Wochen nach dem Bau der Berliner Mauer kommt es in der Bernauer Straße, in der die Fassaden der Häuser auf der Südseite der Straße zugleich die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin bilden, zu zahlreichen Fluchten. 17. August 1961: Familie M. flieht aus den Fenstern der Bernauer Straße 11. 19. September 1961: Die Familien B. und L. fliehen aus dem Haus Swinemünder Straße 24 an der Ecke zur Bernauer Straße. Aus einem Fenster in der zweiten Etage des Hauses Bernauer Straße 40-41 springen ein sechsundfünfzigjähriger Mann und seine sechsundvierzigjährige Ehefrau in ein Fangtuch der Feuerwehr. 23. September 1961: Einen Tag vor der Zwangsräumung der Häuser im Ostberliner Teil der Bernauer Straße bricht eine Familie ein Loch in eine zugemauerte Haustür und flieht in den Westen. 24. September 1961: Die siebenundsiebzigjährige Frieda S. flieht aus der ersten Etage des Hauses Bernauer Straße 29. Grenzpolizisten wollen die Flucht verhindern und versuchen, die Frau in die Wohnung zurückzuziehen. Westberliner helfen ihr in das Sprungtuch der Feuerwehr.
Nacht vom 17. und 18. April 1962. Berlin-Mitte. Heinrich-Heine-Straße. In einem LKW rasen drei junge Männer gegen 1.10 Uhr auf den Grenzkontrollpunkt in der Heinrich-Heine-Straße zu. Als sie die erste und die zweite Schlagbaumschranke durchbrechen, beginnt ein Grenzposten zu schießen. Mehrfach getroffen, passiert das Fahrzeug in hohem Tempo die Grenzlinie und kommt erst zum Stehen, als es auf der West-Berliner Seite an eine Grundstücksmauer prallt.Lothar M. und Peter G. werden verletzt ins Urban-Krankenhaus gebracht. Der dreiundzwanzigjährige Klaus B. erleidet tödliche Verletzungen.
28. Juli 1965. Berlin-Mitte. Leipziger Straße. „Haus der Ministerien“. Der Leipziger Diplom-Ökonom Heinz H. hat des Öfteren im „Haus der Ministerien“ zu tun, das sich unmittelbar an der Grenze zu Kreuzberg befindet. Er lässt sich mit seiner Frau und seinem Kind auf einer Toilette im obersten Stockwerk einschließen. Auf der Westseite warten seine Verwandten. Nach Einbruch der Dunkelheit wirft er einen mit Schaumgummi umgebenen und mit Leuchtfarbe bemalten Hammer über die Mauer, an dessen Stiel er ein dünnes Perlonseil gebunden hat. Die Verwandten befestigen daran ein Stahlseil. Heinz H. zieht das Seil nach oben und befestigt es am Fahnenmast des Hauses. Mit einer selbst gebauten Seilbahn überquert die Familie die Mauer. Heinz H. verliert auf der Flucht seine Ledertasche. Sie schlägt laut hörbar auf dem Boden im Hof des „Hauses der Ministerien“ auf. Aber niemand reagiert darauf. Sowjetische Soldaten der Luftraumüberwachung beobachten die Flucht, greifen aber nicht ein, da sie vermuten, dass die Staatssicherheit auf diesem Weg Agenten nach West-Berlin einschleusen will.
Nacht vom 26. und 27. August 1966. Dreilinden. Teltowkanal. In der Nacht vom 26. und 27. August taucht der achtzehnjährige Hartmut R. durch den Teltowkanal und erreicht unversehrt das Westberliner Ufer. Nach 1973 verhilft Hartmut R. eigenständig Freunden und Bekannten zur Flucht aus der DDR. Insgesamt 33 Menschen gelangen mit seiner Hilfe in den Westen. In der Nacht vom 3. und 4. März 1975 möchte Hartmut R. seiner Schwester und deren Verlobten im Kofferraum seines Autos zur Flucht nach West-Berlin verhelfen. Am Grenzübergang Drewitz wird das Fahrzeug gestoppt, beide Flüchtlinge und der Fluchthelfer werden festgenommen. Hartmut R. wird zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Fünf Jahre und sieben Monate später, am 2. Oktober 1980, wird er freigekauft und nach West-Berlin entlassen.
1971 und 1973. Potsdam-Babelsberg. Stubenrauchstraße. 18. April 1971: Rainer W. und Joachim M. wollen die DDR verlassen. Beide wohnen im Grenzgebiet am Griebnitzsee. Hier trennt nur eine Mauer die DDR und West-Berlin. Nach Einbruch der Dunkelheit und im Zustand leichter Trunkenheit wollen sie ihr Vorhaben umsetzen. Auf einem Grundstück entdecken sie eine Stange zum Teppichklopfen, mit der sie an einer schwer einsehbaren Stelle auf die andere Seite gelangen. Weil es ihnen in West-Berlin nicht gefällt, kehren sie in der nächsten Nacht auf die gleiche Weise zurück. Diese Flucht veranlasst Stefan Heym zu seiner Erzählung „Mein Richard“. Am 11. März 1973 flieht Rainer W. endgültig aus der DDR. Er fälscht im Ausweis einen abgelaufenen Sonderstempel für das Betreten des Grenzgebiets und steigt an der alten Stelle über die Mauer, wie beim ersten Mal unter der Zuhilfenahme der Klopfstange. Bis zum Fall der Mauer im November 1989 überwindet Rainer W. mehrfach die Grenze nach Ost-Berlin und wird jedes Mal nach kurzer Zeit wieder abgeschoben.
11. März 1988. Potsdam. Brücke der Einheit (Glienicker Brücke). Um 1.58 Uhr nähert sich aus der Berliner Straße ein LKW Typ „W 50“ mit hoher Geschwindigkeit der Brücke, täuscht zunächst durch Betätigung der Blinkanlage ein Abbiegen vor der Brücke nach links vor, fährt jedoch geradeaus weiter und durchbricht alle vier auf der Glienicker Brücke befindlichen Sperrelemente: das Passagentor, den Sperrschwenkbaum, den verkehrsregulierenden Schlagbaum und das mechanische Tor. Im Fahrerhaus sitzen drei Männer aus Babelsberg, der 37-jährige Gerhard I. und seine Bekannten Bernd P. und Werner J.. Den LKW mit 5 ½ t Last haben sie am vorangegangenen Abend gestohlen und mit gelben Aufklebern für „Gefahrgut Transport” getarnt. Im Bericht über die Flucht findet sich folgender Satz: „Die Realisierung der Straftat wurde begünstigt, weil der Sperrschwenkbaum vom Typ ,Salzwedel’ in Bezug auf die Verankerung des Widerlagers im Betonsockel nicht dem vorausgesetzten Sicherheitswert entsprach.“
1962, 1986 und 1989. Berlin-Mitte. Friedrichstraße. Checkpoint Charlie. Frühling 1962: Als russische Soldaten verkleidet und in einem Fahrzeug aus russischer Produktion, überqueren der zweiundzwanzigjährige Student Günter J. zusammen mit drei Freunden den Grenzübergang Checkpoint Charlie. 17. Januar 1986: Einem 21-jährigen Ost-Berliner Fernmeldemonteur gelingt am Checkpoint Charlie die Flucht nach West-Berlin. Der Handwerker ist hier im Einsatz, um Beobachtungskameras und Raumschutzanlagen im Ein- und Ausreisebereich zu installieren. Er nutzt einen unbeobachteten Moment, um den Kontrollbereich zu durchrennen. 18. August 1989: Hans Peter S. aus Chemnitz beschließt die Flucht, als seine Frau zu einem Verwandtenbesuch nach Österreich fahren darf. Mit seiner Tochter reist er am 16. August nach Berlin. Er weiß, dass amerikanische Soldaten an der Grenze nicht kontrolliert werden dürfen. Am Nachmittag des 18. Augusts trifft er den US-Soldaten Eric Y., der ihn und seine siebenjährige Tochter im Kofferraum seines Autos über die Grenze bringt. Hans Peter S. ist der letzte Mauerflüchtling in Berlin.